inhalt katalog Gegen die Durchökonomisierung des Daseins
Ein Überblick über die Ausstellung fast um$onst
Vali Djordjevic
Die AG fragt, wie wir im entfesselten Neoliberalismus einen klaren Kopf behalten können. *

In diesen Tagen in Berlin ist Geld ein Thema, bei dem alle schlechte Laune bekommen. Seit die Start-Ups, die mit dem Verkauf von heißer Luft Millionen machen wollten, Pleite gegangen und dem Neuen Markt die Aktionäre ausgegangen sind, hat man manchmal den Eindruck, es gehe nur bergab. (Nicht dass es vorher wirklich bergauf gegangen wäre, aber hinter der nächsten Ecke wartete die Hoffnung.)

Zu West-Berliner Zeiten gehörte die Stadt den Durchwurstlern. Nirgendwo konnte man besser die Jugend bis ins Unendliche verlängern. Irgendwie kam man schon klar. In den 70ern und 80ern blühten die Alternativprojekte, in den 90ern versuchte man reich zu werden um jeden Preis. Die gesellschaftliche Entwicklung läuft in die gleiche Richtung: Professionalisierung, ICH-AG, PR in eigener Sache - alles Wege individueller Profit-Maximierung. Der Paradigmenwechsel von Selbstverwirklichung zu Kommerzialisierung verläuft entlang von Linien, die von Künstlern und Alternativprojekten vorgedacht wurden, wie die Instrumentalisierung selbstverantwortlicher und flexibler Arbeitsformen von Seiten der Industrie beweist.

Es geht darum, das Unmoderne wieder zu beleben.

fast um$onst knüpft an alte linke Vorstellungen von Solidarität, Selbstorganisation und Widerstand an - Werte, die als hoffnungslos veraltet gelten. Die Ausstellung zeigt, wie Künstler sie auf neue Art mit Inhalt füllen.

In den letzten Jahren gab es vermehrt Ausstellungen, Seminare und Symposien zum Thema Wirtschaft und Kunst: "Kunst und Ökonomie" in Dresden, "Art & Economy" in den Deichtorhallen in Hamburg, Künstler, die Seminare in Firmen halten, künstlerische Arbeit als Modell für Betriebe und so weiter. Viele Künstler hoffen, durch ihre Arbeit die Arbeitswelt humaner zu machen, während die Arbeitgeber ein Interesse daran haben, ihre Angestellten dazu zu kriegen, länger für weniger zu arbeiten - so wie die meisten Künstler. Leider funktioniert der konstruktive Beitrag nicht so, wie vorgestellt: Der Einfluss von Künstlern in Unternehmen beschränkt sich häufig darauf, schönere Diagramme auf Whiteboards und Flipcharts zu malen.

Bei fast um$onst nimmt das Projekt Capital Training von Ellen Nonnenmacher und Trainerinnen diese Berater- und Seminarkultur auf die Schippe. Nach dem Congress '99 und dem Kursprogramm 2001, in denen Medienkünstlerinnen ausgebildet wurden, wird mit dem Congress Coaching 2004 Hilfestellung zur beruflichen Neuorientierung und Professionalisierung geleistet. Ökologische Nischen, Marxlektüre als Metaphernquelle oder Modelle der Selbstfinanzierung warten auf die arbeitslosen Medienarbeiterinnen der Stadt.

Sofia Hultén thematisiert das Verschwinden des Individuums in der modernen Geschäftswelt. Im Video "Grey Area" versteckt sich eine Frau im korrekt grauen Kostüm hinter Systemmöbeln, Büropflanzen und Materialcontainern. Vielleicht versucht sie der Arbeit zu entkommen, vielleicht löst sie sich auf in der Funktionsmöblierung. Hultén produziert für fast um$onst eine neue Videoarbeit, die. den Titel "Acts of Pointless Resistance" trägt. Hier stellt sich dieselbe Frau am Schreibtisch ein Arsenal zusammen, um irgendwann einmal sinnlosen Widerstand zu leisten.

Das Video "Eine neue Herausforderung bundesweit" von Angélica Chio und Rüdiger Stern zeigt Leute auf dem Weg durch eine Grünfläche. Dabei werden in Karaoke-Manier Texte von Jobanzeigen, die im Internet veröffentlicht wurden, unterlegt. Die Selbstdarstellung des Arbeitssuchenden ist eine Kopie der Kopie, und alle können mitsingen: "Ich suche un- oder befristet einen neuen Wirkungskreis, Voll- oder Teilzeit, eine neue Herausforderung bundesweit."

Es geht um die Würde des Überlebens und darum, wie viel Solidarität es noch gibt.

New Economy, Neoliberalismus, Professionalisierungsseminare - Synonyme für Strategien der Entsolidarisierung. Der Einzelne soll frei sein von Verantwortlichkeiten, Verpflichtungen und Einschränkungen, die seine Einsetzbarkeit auf dem Arbeitsmarkt behindern könnten. fast um$onst setzt dagegen die alte linke Tugend der Solidarität.

Man kann mit Anton Rabe und Inger Schwarz verkünden: "The best things in life are free", wie sie es in ihrer Performance als bauchtanzende Panzerknacker im letzten Sommer getan haben, als fast um$onst seinen Vorlauf "fast um$onst Leben" in der Kreuzberger Galerie Stil und Bruch veranstaltete.
Oder die Freuden des Trampens schildern, wie Kaaren Beckhof, die mit ihren Trampelbüchern einen Erinnerungsraum eröffnet, indem sie eine Installation rund um die Aufzeichnungen aufbaut, die sie in den 80er Jahren zusammen mit vier Freundinnen auf Reisen per Anhalter durch Europa gemacht hat. Die Trampelbücher 1982-89 erzählen von einer Jugend, in der Abenteuerlust und Optimismus sich nicht aufhalten ließen vom Mangel an Geld. Assoziationen an eigene Reisen werden geweckt und ausgetauscht. Erinnerungen an bessere Zeiten, die Lust machen auf neue Erfahrungen.

Bei "Money Transfer oder sans argent tu ne manges pas" bewegt sich Geld, aber anders als in den internationalen Finanzströmen: Barbara Loreck und ihre Gäste bieten an, mit der Euro-Umstellung ungültig gewordene "Schlafmünzen" zurück in die jeweiligen Ausgabeländer zu bringen. Die Spender können sich wünschen, welcher ideelle oder materielle Tauschwert ihnen von den Reisen mitgebracht werden soll.

Ums Geld soll es gehen. Wir hatten immer so einen Fetisch ums Geld.
Es geht natürlich nicht ums Geld oder reich werden, nur um Ruhm und guten Sex.


Damit wären wir auch beim Thema: Natürlich geht es um Geld, wie immer. - Je mehr desto besser. Tiger Stangls "Money Multiplier" zaubert Geld her. Ein Mini-Spiegelkabinett vervielfältigt ihr Künstlerinnenhonorar - 300 Euro (echt) - ins Unendliche. Die wundersame Geldvermehrung kommentiert ironisch die Mehrwert-Erzeugung im Kapitalismus, aber auch den Traum von unendlichem Reichtum.

Um mehr Geld zu bekommen verlassen sich Millionen Menschen auf übernatürliche Hilfe. Claudia Tribin baut für ihre Arbeit "Give me more" einen Altar, den sie mit unterschiedlichsten wundertätigen Gegenständen aus Lateinamerika ausstaffiert, um die Geldgeister zu sich (und zu fast um$onst) zu locken.

Geld ist aufgeladen mit Glücksversprechungen und die untersucht Tina-Marie Friedrich in ihrem Zyklus "Scheinwelten": Sie isoliert die magischen Symbole auf Geldscheinen aus aller Welt. In der neuen Arbeit "Tütengeld" kombiniert sie Plastiktüten von Billigsupermärkten mit Motiven asiatischer Geldscheine auf Acryl-Bildern und regt so auf experimentelle Weise zum Nachdenken über die Hierarchien der Weltwirtschaft an.

Mit dem Preisausschreiben "Goldregen - Geldsegen" gibt fast um$onst dem Publikum die Möglichkeit, seinen eigenen Geld-Fetisch verwirklicht zu sehen. Die Berliner Öffentlichkeit wurde im Januar 2004 aufgerufen, ihre Lieblingsbilder von Reichtum und Luxus einzuschicken. Die Auftragsmalerin Astrid Küver hat die Geldträume der drei glücklichen Gewinner in Öl verewigt. Nach der Ausstellung können sie sich die Bilder, diesen materiellen Ausdruck ihrer sehnlichsten Wünsche, übers Sofa hängen.

Christine Kriegerowskis Diaserie "Alle Waren Reduziert" nimmt den Titel der Ausstellung wörtlich und zeigt Fotos von Billig-Preisen, die im Alltag allgegenwärtig sind. Billig, Preiswert, Jetzt Reduziert: Man hat den Eindruck, das Leben sei kostenlos. Dem gegenüber stellt sie Graffitis des Widerstandes: Plakate, Spray-Parolen, Demo-Transparente.

"Wir glauben, dass Klagen falsch ist. Du weinst, gehst traurig nach Hause, sagst: Wie hab ich schön geweint, und schläfst erleichtert ein. Nein, wir wollen Euch zum Lachen bringen … Es öffnet sich nicht nur der Mund beim Lachen, sondern das Gehirn. Und ins Gehirn können die Nägel der Vernunft eintreten," Franca Rame

Mit Ironie schaffst du es wenigstens, dass die Leute lachen über Sachen, die sie gar nicht lustig finden.

Alexei Shulgins kleiner 386DX Computer steht in der Ecke und bittet um Gaben, während er für die Vorbeieilenden vollautomatisch Standards der Straßenmusik singt. Man hat fast ein wenig Mitleid mit dem Rechner, der eigentlich schon zum Elektromüll gehört, aber standhaft gegen seine Verschrottung ansingt. State of the art für den urbanen Stadtmusikanten oder der Anfang vom Maschinenaufstand?

"Re:represent" des Berlin-Leipziger Künstlerduos Blank & Jeron verhandelt verschiedene Ebenen der Kommunikation, die ja selbst eine Repräsentation von Repräsentationen ist. Blank & Jeron untersuchen die Internet-Foren von Online-Aktienhändlern, die sich über ihre Einsätze austauschen. Im Versuch, eine Ordnung im Chaos des Sprechens zu erzeugen, zählen die beiden Künstler Schlüsselbegriffe aus und stellen die Worthäufigkeiten in verschiedenen Diagrammen dar - als Tapete oder dreidimensionale Plexiglas-Leuchtkästen. Eine Ordnung, die absurd bleiben muss, aber schön aussieht, gemäß dem Blank & Jeron'schen Slogan von der "Schönheit durch Information".

Da kommt auch der Begriff des ‚Selbermachens' rein.

Die Kunst, die gezeigt wird, ist fast umsonst, denn kulturelles Kapital ist heutzutage billig. Eigentlich kann jede/r sich etwas einfallen lassen und Kunst machen, mit der er oder sie über die Bedingungen des Lebens nachdenkt. Man kann sich zusammenschließen und Aktionen veranstalten, Plakate drucken, Dinge sammeln auf Reisen und sie anderen zeigen.

Oder Platten auflegen. DJ Everybody hat sich diesem eigentlich selbstverständlichem Statement verschrieben. Der Coolheitsfaktor von Plattenauflegern hat in den letzen 15 Jahren astronomische Höhen erreicht. Betty Stürmer bringt schon seit 1996 die hippsten DJs mit normalen Plattenauflegern zusammen und redemokratisiert das, was eigentlich mal ein progressives Statement war: elektronische Tanzmusik.

Weiter zurück reicht die Tradition der Ateliers populaires, an die der Siebdruck-Workshop mit Gertrud Fischbacher anknüpft. Die Kunststudierenden des Mai '68 in Paris richteten für die streikenden Arbeiter Siebdruckwerkstätten ein, in denen sie Streikplakate drucken konnten. Die TeilnehmerInnen des Workshops drucken Slogans zu Themen, die ihnen auf den Nägeln brennen. Die entstandenen Plakate werden im Kreuzberger Kiez geklebt.

Manchmal muss man einfach Kapitalismus sagen. Ich weiß nicht, wie man das Schweinesystem sonst nennen soll.

Kapitalismus sagen ist irgendwie altmodisch. Oder man benutzt den Begriff ironisch. Vielleicht ist beides notwendig, genau wie eine "Auseinandersetzung mit den Erscheinungsformen der neoliberalen Ökonomie" not tut, wie ein Anspruch der Ausstellung lautet.

Das "Institut für Primärenergie" sammelt Formen der alltäglichen Auseinandersetzung mit einem Thema, das oft nur abstrakt im Wirtschaftsteil der Zeitungen verhandelt wird. Die Gruppe spricht mit dem Publikum und untereinander im Rahmen von Performances, Theaterstücken und Radioshows über Formen von Finanzierung: Strategien, wie man mit dem Geld, das man hat, klarkommt, wie man überhaupt zu Geld kommt. Bei fast um$onst rufen sie zu ihrem Kongress mit dem Thema "Finanzierungsstrategien am Rande des Machbaren" auf, der im nächsten Jahr stattfinden wird, und präsentieren die Aufzeichnung ihrer Radioshow vom November 2003 auf dem temporären Sender "Radio Riff" aus Berlin.

Die "Selbstbedienungszentrale" versucht im Gegensatz dazu "Rand- und Schattenökonomien" aufzubauen und Möglichkeiten des Wirtschaftens außerhalb des Geldkreislaufs aufzuzeigen. Folke Köbberling, Martin Kaltwasser und Claudia Burbaum eröffnen dafür, nach der ersten Filiale Februar 2003 im Pavillon an der Volksbühne, einen neuen Ableger der "Selbstbedienungszentrale", die Treffpunkt für Warenangebote und -gesuche ohne Geld ist. Das Angebot einer Gratisökonomie, nicht fast umsonst, sondern ausdrücklich umsonst!




 
 







*) Die kursiven Abschnitte entstammen Gesprächen mit Tina-Marie Friedrich und Christine Kriegerowski, sowie Texten der Arbeitsgruppe fast um$onst.