inhalt katalog | Künstler als Modell der Ökonomie - die Ökonomie
als Modell der Kunst |
Kolja Kohlhoff
|
"Money was always over my head." Marcel Duchamp Interessanterweise hat parallel zu den Umwandlungsprozessen der Wirtschaftsliberalisierung unter dem Schlagwort der "New Economy" Boris Groys seinen Essay "Über das Neue" vorgelegt, in dem er die Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts als "Kulturökonomie" zu beschreiben versucht. Groys apostrophiert darin die Kultur als "Wirkungsbereich der ökonomischen Logik par exellence". 1,"Dynamik" und "Innovation" gelten ihm dabei als Leitbegriffe einer kulturellen Produktion, die permanent damit beschäftigt ist, "das Neue" zu erschaffen. Die Definition der Kultur als Umwertung der Werte - etwas Wertloses wird zu etwas Wertvollem transformiert, aber auch umgekehrt wird Wertvolles plötzlich entwertet -, gewinnt in einer Zeit der ökonomischen Umstrukturierung der Arbeitswelt zuweilen fast zynische Züge. "Dynamik" und "Innovation" werden gleichzeitig zu zentralen Begriffen der "Neuen Ökonomie". So gerät das Allround-Talent des Künstlers als Modell einer scheinbar viel effizienteren Arbeitsökonomie, die eben diese versprach, in den Blick der Ökonomie. Der Beruf des Künstlers, der in sich den Produzenten, Manager, Verwalter und Organisator vereinigt, wurde als Prototyp einer selbstbestimmten, kreativen, projekt-, team- und wettbewerbsorientierten Arbeit verklärt. Erzwungene Patchworkbiografien garantierten vielseitigen Kompetenzerwerb durch Diversifikation. Die daraus resultierende Tätigkeitsbreite hatte hohe Flexibilität und Mobilität zur Konsequenz. Häufig gingen damit informelle Netzwerke einher, die bei Bedarf aktiviert werden konnten. Die angebliche Selbstbestimmtheit des Arbeitens, die auf das gesamte Netzwerk zutrifft, schließt die angebliche Selbstbestimmtheit der Arbeitszeiten mit ein. Die Favorisierung solcher Arbeitsstrukturen unterschlägt, dass diese keinesfalls selbstbestimmt sind, sondern aus ökonomischen Zwängen resultieren. Selbstausbeutung und ungesicherte Arbeitsverhältnisse erscheinen in der Positivzeichnung nicht. Das ideologisierte Modell des Künstlers als Inbegriff des kreativen, nicht entfremdeten Arbeiters, der alle Produktionsmittel in den Händen 2 hält, findet sein staatlich sanktioniertes Pendant in der so genannten ICH-AG. Dieses Modell ist ökonomisch nicht aufrechtzuhalten, sobald die künstlerische Produktion im Zentrum der Definition von Arbeit steht und nicht die individuellen, "wilden" Arbeitsstrukturen. Doch dies kommt in den Bemäntelungen eines deregulierten Arbeitsmarktes nicht vor. "Unser Tun ist im wesentlichen von administrativen Tätigkeiten bestimmt. Das heißt 90% unserer Arbeitskraft verwenden wir darauf, uns die Freiräume zu schaffen, in denen wir unsere künstlerische Tätigkeit ansiedeln wollen", definieren Susanne Bosch und Stephan Kurr ihren künstlerischen Arbeitsalltag.3 Das heißt, Kunstproduktion ist innerhalb einer Zeit- und Produktionsökonomie absolut unökonomisch.4 Daraus folgt, dass auch der Output der Produktion zumeist viel zu gering ist und ohnehin meistens außerhalb einer Logik von Angebot und Nachfrage stattfindet. Der Tuchfühlung der Ökonomen mit den Künstlern in fortwährend organisierten Symposien steht deren ganz konkrete Erwartung nach Sponsoring oder Produktabsatz gegenüber - Roundtable über Roundtable ein Missverständnis. Als Marcel Duchamp 1919 nach Paris zurückkehrt und dort seinem Zahnarzt Daniel Tzanck eine Rechnung über 115 Dollar nicht begleichen kann, macht er ihm kurzerhand einen Scheck. Die Adresse des vorgeblichen Ausstellers lautet wie folgt: The Teeth's Loan & Trust Company, Consolidated / 2 Wall Street / New York. Unterschrieben oder besser signiert ist der Scheck mit dem Namen des Künstlers, der sich damit zum Eigentümer der oben angegebenen Firma erklärt, wie gleichzeitig zum Createur des geschaffenen Werkes. Jahre später kauft Duchamp den Wechsel für ein Vielfaches zurück und zahlt damit vor allem für die Signatur von eigener Hand. Dem faktischen Handel von Behandlung und Bezahlung stellt Duchamp nicht nur das Fiktionale des Tauschwerts gegenüber, sondern macht daraus eine faktische Fiktion. Beim Rückkauf wiederum spielt er mit dem nicht zu messenden Wert und der damit einhergehenden Wertsteigerung eines kreativen Aktes. Fünf Jahre später stellt er ein weiteres Finanzpapier her, Obligationen für die Spielbank von Monte Carlo, nachdem er zuvor eine Gesellschaft für Roulettespieler gegründet hatte. Die Aktien hatten einen Verkaufswert von je 500 Franc. Mit den Aktien, die sein von einem Roulettetisch grahmtes Antlitz mit eingeseiftem Kopf zeigen, setzt Duchamp die Börse mit dem Glücksspiel gleich. Da seine Haare durch die Seife so modelliert sind, dass sie die Hermesflügel zitieren, nimmt der Künstler die Gestalt des Götterboten Hermes an, dem Gott des Handels und Schutzpatron der Diebe. Duchamps Ausflug in die Irrationalität der Finanzwelt ist die Frage nach den Regeln des so genannten Betriebssystems Kunst inhärent. Dies bestätigt sich nach seiner Rückkehr nach New York 1920, als seine Mäzenin Katherine Dreier einen privat finanzierten Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst gründen will. Bei der Suche nach einem Namen schlägt Man Ray "Société Anonyme" vor, der ihm in einer französischen Zeitschrift begegnet war und ihm die Bezeichnung einer anonymen und damit geheimen Gesellschaft doch sehr passend erschien. Duchamp muss ihn aufklären, dass es sich dabei um die französische Bezeichnung für Aktiengesellschaft handelt, was aufgrund des Missverständnisses um so mehr Anklang findet. Als nun der Name nach Fertigstellung der Amtspapiere einem des Französischen nicht mächtigen New Yorker Staatsbeamten vorliegt, setzt er dem vermuteten Firmennamen noch ein "incorporated" hinzu. Damit wird der Dreiersche Non-Profit-Kunstraum zu einer "Aktien-Aktiengesellschaft der Anonymen Gesellschaft" und hebt sich in der Tautologie selbst wieder auf. Duchamps Vorgehen, die Regeln der Finanzwelt aufzunehmen, führt in der Kunst erstmalig vor, wie reale ökonomische Prozesse in symbolische transformiert werden können. Das Spiel mit der Grenze des Realen und des Symbolischen ist seither eine der prägnanten Möglichkeiten der Kunst, ökonomische Verhältnisse zu thematisieren, reflexiv zu brechen und zu ironisieren. Von diesen Setzungen Duchamps, im ästhetischen Feld durch die Anverwandlung des Realen, die Verschiebung des Kontexts und die Spiegelung des Alltäglichen, gesellschaftliche Strukturen offen zu legen, laufen die Fäden (stoppages) bis in die Gegenwart. Verschiedene künstlerische Strategien lassen sich unterscheiden: So wechselt der bestbezahlte Werbegrafiker der USA, Andy Warhol, Anfang der sechziger Jahre in den freien und damit ungesicherten Bereich der Kunst und beginnt dort auf der Leinwand Werbe-Bilder zu sezieren - und zwar die klein gedruckten mit den großen Versprechen von idealer Schönheit nach operativen Eingriffen. Der mehrmals genutzte, einer medizinischen Anzeige entlehnte Satz: "Where is your rupture" ("Wo liegt Ihr Bruch") bekommt bei Warhol etwas Leitmotivisches, denn er zielt auf den Bruch zwischen schönem Schein und Realität. Das Bild als Oberfläche zur Erweckung von Bedürfnissen wird sozusagen entkleidet. Der sezierende Blick auf öffentliche, alltägliche Bilder, der in der zitierten Darstellung zugleich Bloßstellung ist, erhält genau dadurch seinen kritischen Impetus. Die Kombination von nicht zusammengehörenden Bildern wäre wiederum eine andere Strategie, Bildinhalte implodieren zu lassen, um gleichzeitig einen neuen Bildsinn außerhalb des Verwertungskontexts zu provozieren. In ähnlicher Weise agieren die Parallelisierungen von Bildern, die die Unerbittlichkeit der Angleichung von Leben und Bild deutlich machen, bis zu dem Punkt, wo das Leben im anonymen Bildraum verschwindet. Neben der Bilduntersuchung, die angestammtes Thema der Kunst ist, zeigt sich in den letzten Jahren als weitere Tendenz die Verschiebung des Kunstbegriffs in ein Verständnis der Kunst als Dienstleistung. Richten sich die bildbasierten Kunstwerke auf eine Analyse der ideologisierten Zeichencodes ökonomischer und kultureller Kommunikation, gehört die so genannte Dienstleistungskunst ins Feld einer prozessbasierten Kunst, die auf die Untersuchungen von wirtschaftlichen Abläufen, sozialen Relationen und der spezifischen Differenz zwischen künstlerischer und ökonomischer Mehrwertproduktion zielt. Dem Diktum der Dienstleistungsgesellschaft gehorchend, tritt die Kunst aus ihrem angeblichen Elfenbeinturm und bietet sich "öffentlichkeitswirksam" an. Damit provoziert sie eine direkte Kommunikation und Wirksamkeit. Der Austritt aus dem traditionellen Verwertungsbereich ermöglicht ihr, politische, ökonomische und soziale Diskurse aufzunehmen, indem sie sie gewissermaßen verdoppelt. Die Dienstleistungskunst der neunziger Jahre, die vor allem neue soziale Räume schuf, machte zugleich auf ein gesellschaftliches Desiderat aufmerksam: Sie bemühte sich um eine soziale Wärme, die der durchgreifend kommerzialisierten Wirklichkeit abhanden gekommen zu sein scheint. Eine andere Variante, auf die gesellschaftlichen Veränderungen zu reagieren, die durch radikale Liberalisierung die Leistungsgesellschaft propagiert, zeigt sich dort, wo die dienstleistenden Strukturen des "Fitmachens" mittels Seminaren in der Kunst adaptiert werden. Das ironische Zitieren der Versprechen einschlägiger Workshops, wie aber auch die Übernahme des "Trainings" zwischen Leistung und Entspannung, zeigen aufgrund der Kontextverschiebung die Zurichtung einer immer stärker ideologisierten Gesellschaft in ihrer Absurdität auf. Als entscheidende Frage aber bleibt: Wie werde ich erfolgreich, und zu welchem Preis? |
|
|
1) Boris Groys, Über
das Neue, München 1992, S.15 2) Die Mystifizierung des Künstlerbildes einer bürgerlichen Gesellschaft bis zur Ideologisierung durch die Strategen des Wirtschaftsliberalismus wäre eigens aufzuzeigen. 3) Susanne Bosch; Stephan Kurr, Vortrag in der Werketage, Berlin Juli 2003 4) George Batailles Begriff der Verschwendung wäre als Antithese anzuzeigen, allerdings ist ihre Setzung als antiökonomischer Produktionsbegriff jenseits der Diskussion von faktischen Zwängen. |