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Es ist richtig, daß
sich eine neue moderne Beziehung zum Geld entwickelt hat. Die Münzeinheit
in jedem Land hat einen mehr abstrakten Wert bekommen. Sie wird darum nicht
weniger als Einheit empfunden. Wenn die Münzen früher etwas von
der strikten hierarchischen Organisation einer geschlossenen Gesellschaft
an sich hatten, so geht unter dem Papiergeld mehr zu wie unter den Menschen
der Großstadt.
Aus dem Schatz ist heute die Million geworden. Sie hat einen kosmopolitischen
Klang, die Bedeutung dieses Wortes erstreckt sich über die ganze moderne
Welt, es kann sich auf jede Währung beziehen. Das Interessante an der
Million ist, dass sie durch spekulative Geschicklichkeit sprunghaft zu erreichen
ist: sie schwebt allen Menschen vor, deren Ehrgeiz auf Geld gerichtet ist.
Der Millionär hat einige der strahlendsten Eigenschaften des alten
Märchenkönigs übernommen.
Als Bezeichnung für eine Zahl kann die Million sich auf Geld so gut
wie auf Menschen beziehen. Dieser doppelte Charakter des Wortes lässt
sich in politischen Reden besonders gut studieren. Die Wollust der springenden
Zahl ist zum Beispiel charakteristisch für Hitlers Reden. Sie bezieht
sich dort gewöhnlich auf die Millionen von Deutschen, die außerhalb
des Reiches leben und noch zu erlösen sind. Nach den ersten unblutigen
Siegen, vor Ausbruchs eines Krieges, hatte Hitler eine besondere Vorliebe
für die steigenden Bevölkerungsziffern seines Reiches. Er konfrontierte
sie mit denen aller Deutschen, die es überhaupt auf der Erde gibt.
Sie alle in seiner Einflusssphäre zu haben, war sein eingestandenes
Ziel. Immer aber verwendete er für seine Drohungen, Genugtuungen und
Forderungen das Wort Million.
Andere Politiker verwenden es mehr für Geld, aber der Gebrauch des
Wortes hat zweifellos etwas schillerndes bekommen. Die abstrakte Zahl ist
von Bevölkerungziffern der Länder und vor allem der Weltstädte,
die überall in Millionen ausgedrückt werden, mit einem Masseninhalt
erfüllt wordon, wie ihn keine andere Zahl heute enthält. Da das
Geld derselben <Million> verpflichtet ist, sind sich Masse und Geld
heute näher als je.
Canetti-"Masse und Macht" |
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