inhalt katalog Daneben ist auch zu beachten, dass die Wiederverwendung von Gegenständen vorzuziehen ist, da der Energieaufwand geringer ist.1
Christoph Tempel
Recycling muss rein!, schließlich firmieren wir unter fast um$onst, und was ist mehr umsonst als recyceln?
Aber was ist Recycling? Wir entnehmen die Begriffsdefinition einem kleinen grünen Lexikon mit dem schönen Titel "Punktgenau. Das Duale System von A-Z" 2.
"Unter Recycling versteht man die Rückführung gebrauchter Materialien (z.B. Verpack-ungen) in den Stoffkreislauf, etwa durch das Sammeln, Sortieren, Veredeln sowie das werkstoffliche oder rohstoffliche Verwerten. Je mehr Verpackungen ins Recycling gelangen, desto weniger wertvolle Rohstoffe müssen bei der Herstellung neuer Produkte eingesetzt werden. Mit einer durchschnittlichen Energieeinsparung von 34,4 Megajoule pro Kilogramm recyceltem Kunststoff ist die Verwertung doppelt so energieeffizient wie die Beseitigung in einer durchschnittlichen Müllverbrennungsanlage. 77 Prozent der Bundesbürger halten das Sammeln und Recyceln für das beste Konzept zur Müllbehandlung. Nur zwölf Prozent sprechen sich für die Müllverbrennung aus."3
Wer könnte uns denn noch helfen? Vielleicht ein einfaches Konversationslexikon, das sich der Lobbyarbeit für einen Müllverwerter nicht verdächtig machen dürfte? Nehmen wir den kleinen Brockhaus von 1984, der bietet gleich drei Definitionen des Begriffs an. "Recycling: [engl.]", heißt es da, und unter "1)" wird die gängige Erklärung geliefert, ist die "kontinuierliche Rückgewinnung und Wiedereinführung der bei der Fabrikation nicht verbrauchten Ausgangsstoffe in den Produktionskreislauf…"Aber schon unter "2)" nimmt die Begriffsbestimmung eine unerwartete Wendung hin zur Architektur, wenngleich die Definition etwas kryptisch bleibt. Da heißt es: "moderne Architektur: die Einführung und Wiederbelebung historischer Bausubstanz".
Dass dem Begriff schließlich auch eine ebenso unerwartet finanzwirtschaftliche Seite innewohnt, sei der Vollständigkeit halber hier erwähnt, hat aber für unseren Text - trotz des Dollarzeichens von "fast um$onst" - keine weitere Bedeutung: "3) die Rückschleusung der Einnahmeüberschüsse vor allem der erdölexportierenden Länder (‚Petrodollars') in den internationalen Finanzmittelkreislauf."
4 Erstaunlicherweise scheint unter zweitens ein Thema auf, das weit über grüne Punkte und gelbe Säcke hinausweist und nach Bearbeitung förmlich schreit: Recycling in der modernen Architektur.

Darf's vielleicht ein bisschen mehr sein? Gerne, denn wir wollen uns auf die Suche machen nach einer Art erweitertem Recyclingbegriff, also nach Recycling als Zwischennutzung und Wiederverwertung von Ideen, Räumen, Konzepten. Bedingung für den Akt des Recycelns ist die Zerstörung des Ausgangsstoffs, aus dem dann später unter Einsatz von Energie und gegebenenfalls neuen Rohstoffen ein neues Produkt hergestellt wird. Ich ziehe dieser Form des Arbeitens die Wiederverwendung von Gegenständen vor und wer je in einem Künstleratelier war, weiß, dass dieses Prinzip in der Kunst weite Verbreitung findet. Alles Nachdenken über Recycling begann in der NGBK, wo uns mitleidvolle Blicke streiften, während wir mühsam versuchten, die so genannte Video-Lounge von "Learning from*" sorgfältig rückzubauen. Während wir um jede Latte kämpften, zersägte das Abbauteam von "Chironex fleckeri" im mittleren Teil der NGBK armdicke Kanthölzer zu Brennholz und brach Rigipswände mit lautem Getöse ab. Gleichzeitig schleppte die nächste Ausstellungsgruppe neue Kanthölzer herein und errichteten an etwa gleicher Stelle ihre Rigipswände neu.
Koordination und ein bißchen Recycling, das fehlt hier, ging mir durch den Kopf, während uns der Heiligenschein konsequent korrekter Nachnutzung die Arbeit leichter von der Hand gehen ließ.
Aber als wollte uns jemand eine Prüfung auferlegen, wuchs während der drei Tage unseres selbstgewählten Abbau- und Wiederverwertungsmartyriums ein Treppenmöbel in den Raum der NGBK, das Begehrlichkeiten weckte: groß, gut gebaut, multifunktional: Sitzgelegenheit für etwa 20 Leute, Vitrine. - Wie gemacht für uns, dieses Ding recyceln wir !
Die Nachnutzung der Video-Lounge verlor augenblicklich an Attraktivität, wir demontierten sie wohl noch, lagerten sie ein, aber in dem dunklen Keller am Erkelenzdamm wird sie, wenn dieser Artikel erschienen ist, noch immer ruhen.
Aber auch das gut gebaute Multifunktionsmöbel büßte zwischenzeitlich etwas von seinem Reiz ein, da die Entscheidung anstand, ob wir unsere Ausstellung wirklich um das riesige Gebilde herum gruppieren sollten oder nicht. Die Meinungen gingen auseinander, zumal das Ding nicht nur sehr sperrig anmutet, sondern sich unseren Titel zum Vorbild genommen hat und nur noch fast umsonst ist. Schließlich haben wir uns doch dafür entschieden, wir behalten die Treppe und pfeifen endgültig auf die Video-Lounge. In der Energiebilanz heißt das: das Ausstellungsteam der "World Watchers" spart sich Abbau und Entsorgungskosten, und für uns: keine Planung, keine Materialkosten, kein Transport, kein Aufbau, kein mehrtägiges 3D-Video-Lounge-Puzzle. Damit verlassen wir den Kreislauf aus Zerstörung und Neuproduktion, der dem Recycling eingeschrieben zu sein scheint und erfüllen die in der Überschrift geforderte Wiederverwendung von Gegenständen. Die soll bekanntlich den Energieaufwand verringern helfen, und das tut sie wirklich!
Wie durch ein Wunder fügt sich die Treppe hervorragend in unser Konzept oder unser Konzept um die Treppe. Ultramarinblau gestrichen und mit runden, gelben Kissen dekoriert, wird sie zum Zentrum von fast um$onst und nimmt das Sterntalermotiv des Einladungsflyers wieder auf. Wir bündeln alle Aktivitäten und Performances um sie herum, machen sie zur Zuschauertribüne für den "Capital Training Congress Coaching 2004", für "Money transfer" und den Siebdruckworkshop. Hier wird bei Betty Stürmers Geld-Lieder-Abend gesessen und gelauscht, gleichzeitig liegen in den Vitrinen frühere Line-up-Lists, die Trampelbücher und die Geldkistchen von "Money transfer" aus.

Auch die Selbstbedienungszentrale - Hort der Gratisökonomie bei fast um$onst - wird durch die Treppe erst zum belebten Ausstellungsstück. Wenn sie freitags bis sonntags von drei Uhr nachmittags bis halb sieben abends besetzt ist, und Gebote und Gesuche von kostenlosen Gegenständen oder Veranstaltungen entgegengenommen werden, wird Arbeit zum Ausstellungsobjekt. Leicht erhöht, schauen wir auf die Selbstbedienungszentralisten herunter und dem Entstehen der Gratisökonomie aus Telefonaten, eMails und persönlichen Kontakten zu. Ein schöner Anblick in einer Stadt, aus der Arbeit immer mehr zu verschwinden scheint und noch angenehmer, weil hier eine Arbeit geleistet wird, die sich radikal gegen kapitalistische Verwertungsstrategien richtet.
Die von der Selbstbedienungszentrale gehandelten Dinge sind alle bereits abgeschrieben, haben genau wie unsere Treppe schon ein Leben hinter sich und eignen sich doch, wieder in den Kreislauf einer neuen Nutzung eingeführt zu werden. Nun ist unsere Treppe beileibe nicht so alt, wie die Tische oder Stühle, die in der SBZ angeboten werden, jedoch gibt es meiner Meinung nach keinen Bereich in Kunst und Architektur, in dem die Lebenszeit eines Gegenstands geringer ist, als im Ausstellungs- und Messebau. Da wird das Verhindern von Zerstörung und das Hinüberretten von Aufbauten in die nächste Ausstellung zur absoluten Ausnahme. Daran haben auch immer schmaler werdende Budgets nichts geändert.

Die Stücke von René Pollesch, die hier gespielt wurden, sind ein einziges großes Recyceln, denn Pollesch schreibt seine Diskurse ständig weiter fort und überträgt ganze Textpassagen in andere Stückzusammenhänge, wie er überhaupt Texte produziert, indem er zum Beispiel stadtsoziologische Publikationen wie "Die Stadt als Beute" oder Aufsätze wie "Das Insourcing des Zuhause" für sein Theater adaptiert und stellenweise auch kopiert. Dass dahinter eine andere, weniger auf Repräsentation als auf Inhalte und Teilhabe zielende Vorstellung von Theater steht, zeigt sich in der Einladung Polleschs an die von ihm zitierten AutorInnen, selber am Prater Projekte zu realisieren. Doch endlich zur Architektur: Auch heute noch wird ein Altbau eher durch einen Neubau ersetzt, als dass man über geeignete Maßnahmen zu seiner Erhaltung und Weiternutzung nachdächte. Vor allem Bauten der 50er bis 70er Jahre des letzten Jahrhunderts trifft derzeit dieses Schicksal. Konnte man sich in Berlin Anfang der 90er Jahre des Eindrucks nicht erwehren, es würden vorrangig Bauten der DDR-Moderne (Außenministerium, Ahornblatt, Alex-Treff) abgerissen, um gesichtlos zeitgeistiger Investorenarchitektur Platz zu machen und so dem Kapitalismus Siegesmonumente zu errichten, erreichte die Abrissbirne mit dem BEWAG-Gebäude von Paul Baumgarten auch ein prominentes Opfer im Westen. Zeitweilig standen auch das Neue Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor und der so genannte Solzialpalast an der Pallasstraße in Schöneberg auf der Abrissliste, konnten aber gerade noch von der Schippe springen.

Für viele Millionen Euro vom Asbest befreit, wartet die Hülle des Palasts der Republik auf den Abriss, um einer wie auch immer gearteten Schlosskopie den prominenten Standort zu überlassen. Da die Diskussionen um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses zwar mit dem Votum für eine Rekonstruktion beendet wurden, aber weder tragfähige Inhalte noch Finanzierungen mitgedacht wurden, wird uns der Palast noch einige Jahre erhalten bleiben.
Seit etwa drei Jahren versucht eine Gruppe von Leuten, das ausgeweidete Skelett zwischenzunutzen. Unterschiedliche Gruppen und Institutionen wollen Tanztheater und Opernaufführungen, Ausstellungen und einen Club im Palast realisieren und die Ruine für einige Jahre wieder in einen belebten Ort verwandeln. Damit soll auch bewusst "von einem Gebäude, das wie kein anderes für die DDR-Gesellschaft von zentraler Bedeutung war und dessen unvermeidliche Asbestsanierung von vielen als symbolischer Akt eines kalten Abrisses angesehen wurde"
5 Abschied genommen werden können. Hier könnte die Auseinandersetzung mit der Geschichte wie der Zukunft des geschichtsträchtigen Ortes stattfinden und durch die öffentliche Zwischennutzung könnten sich die zukünftigen Nutzungsvorstellungen des Areals klären.

Mit dieser Form architektonischen Recyclings lässt sich jedoch kein Staat machen. Die städtebaulichen Offiziellen Berlins schmücken sich lieber mit auf alt getrimmten Luxus-Hotels am Potsdamer Platz oder der wiederaufbereiteten Museumsinsel, da sie die Orte von Konsum und Event darstellen, von denen sie glauben, dass eine Metropole sie braucht.

Dem gegenüber siedeln sich die Nachnutzungen eher in den Randbereichen an, auf das Recycling von Räumen durch Hausbesetzer, illegale Kneipen oder temporäre Clubs sei hier nur verwiesen. Sie alle bedienen sich aus unterschiedlichen Interessen am vorhandenen, gewöhnlich ungenutzen Bestand und rückführen ihn in eine zumeist öffentliche Nutzung. Michael Thompson unterscheidet in seiner Theorie des Abfalls
6 zwei Kategorien von Gegenständen: vergängliche (abnehmender Wert) und dauerhafte (zunehmender Wert). Seiner Ansicht nach kann ein vergänglicher Gegenstand seine Kategorie nur ändern, indem er den Umweg über eine dritte, eigentlich verborgenen Kategorie geht, die des Abfalls oder des totalen Wertverlusts. Dieses Schema gilt es für das Recycling von Architekturen zu durchbrechen, schließlich ist totaler Wertverlust bei Immobilien normalerweise gleichbedeutend mit endgültigem Verlust, also Abriss. Anstatt Vorhandenes zu recyceln, versteift man sich in Deutschland zunehmend darauf, nicht mehr Vorhandenes zu rekonstruieren. Man gewinnt den Eindruck, dass neben der besseren Verwertbarkeit - ein aus der gesichtslosen Masse der Investoren-Architektur herausragender, historisierender Neubau lässt sich derzeit leichter vermieten - die Debatte um Rekonstruktion und Baustile skurrile Züge annimmt und so mancher der "Schloss" und "Reparatur des historischen Panoramas" ruft, eigentlich auch einen Kaiser haben möchte. Das hat im Sommer letzten Jahres die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel auf bestechende Art bewiesen. Sie dringt seit Jahren auf den originalgetreuen Wiederaufbau der Garnisonkirche und sammelt Spendengelder für die Realisierung. Ihr Wunsch, das wieder errichtete Gotteshaus ausschließlich wie im 18. Jahrhundert zu nutzen, gipfelte in der Forderung an die Evangelische Kirche, dort weder Kriegsdienstverweigerer zu beraten, noch Ehen homosexueller Paare zu schließen. Darauf wollte sich die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg verständlicherweise nicht einlassen.

Restauration, das wird hier deutlich, hat eben mit Recycling nicht zwingend etwas zu tun, und es scheint so als könne Michael Thompsons Theorie des Abfalls auch weiterhin nicht durchbrochen werden. Wo er vom totalen Wertverlust als Bedingung für eine spätere Wertsteigerung spricht, muss eine Architektur offensichtlich erst restlos beseitigt werden, damit sie erneut an Attraktivität gewinnen kann. Dass diese Beseitigung und der spätere Wiederaufbau volkswirtschaftlich widersinnig sind, steht außer Frage. Die Wiederverwendung von Gegenständen, das Recyceln bleibt weiterhin dem Müll vorbehalten und wird in der Architektur nur von wenigen geschätzt.


die folgenden Fotos: Abbau des
Podests von "learning from*"
Fotos: Kriegerowski




























Bild webseite sbz



Treppe beim Siebdruckworkshop,
Foto: Matthias Reichelt

1) http://www.net-lexikon.de/Recycling.html, Recycling (Definition, Bedeutung, Erklärung im Lexikon)
2) Punktgenau. Das Duale System von A-Z, HG. Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland AG, Köln 2002
3) ebd. S. 34 f.
4) dtv-Brockhaus-Lexikon in 20 Bänden, Wiesbaden und München 1984, Bd. 15 Que-Sah, S. 84
5) Zwischen Palast Nutzung. Realisierungskonzept,
Studio Urban Catayst, November 2003.
6) Michael Thompson, "Die Theorie des Abfalls. Über die Schaffung und Vernichtung von Werten", Stuttgart 1981