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Von der Zweiten Hand in den Mund:
Kein Sachbericht in 6 Punkten

Christine Kriegerowski
1 Kostenlos aber nicht umsonst

fast um$onst hat eine lange Geschichte, für mich begann sie im Weserbergland, in den 70er Jahren, mit dem Festival "umsonst und draußen". Ich fuhr mit dem Klapprad über die Berge, sah Kiffer, Freaks und richtige Hippies, hörte die Band Checkpoint Charlie (Herr Meier fickte seinen Käfer in den Vergaser…) und war befremdet, aber entzückt.
* Der Checkpoint Charlie lag in Berlin, wo ich immer hinwollte. Ende der 80er Jahre hatte er seine Bedeutung als Kontrollpunkt eingebüßt. Sommers im Tempodrom gab es die "Heimatklänge" umsonst und draußen. Irgendwann, als die Zeiten härter wurden, waren auch sie nur noch fast umsonst und das Tempodrom versank langsam im Berliner Sumpf.
* Kostenlos, aber nicht umsonst, also umsonst, aber nicht vergeblich oder gratis, aber nicht verschenkt sind auch die Kleinanzeigen in der Zweiten Hand.
* Die fast um$onst AG hat zu drei Fünfteln da gearbeitet. Allerdings nicht etwa fast umsonst, sondern für einen guten Akkordlohn in der Offsetmontage. Damals gab es noch richtige, entfremdete Arbeit zu anständigen Löhnen, mit netten, interessanten KollegInnen aus dem Kunstbereich und rituellem Schichtende-Bier im Kumpelnest oder Mysliwska.
Die Kolleginnen fieberten mit dem New Economy Boom und investierten ihre Erbschaften (so da welche waren) auf dem Aktienmarkt.
Schon immer sollte die Offsetmontage wegrationalisiert werden, aber es dauerte bis ins Jahr 2000. Keine Filmbelichtung mehr, kein Apfel 6: Anzeigen ins Layout fließen lassen. Eine hat sich abfinden lassen, einer wurde fortgebildet, einer ist zur Online-Abteilung gewechselt und eine war im Mutterschutz. Der Rest o belichtet nicht mehr, sondern schickt PDF's.
Die Zweite Hand bangt um ihre Existenz, es ist wie in der Bundesrepublik mit dem grassierenden Sozialabbau: Erst gab es keinen Apfelsaft mehr, aber der Kaffee wurde noch gestellt, dann keine übertarifliche Bezahlung, später fiel die Weihnachtsfeier, und eine Kollegin nach der anderen musste gehen. Jetzt sammeln die Übriggebliebenen für eine neue Büro-Kaffeemaschine.

fast um$onst Ausstellung


Im Juli 2001 fielen die Rabattgesetze weg, und jeder verspricht uns alles fast für umsonst.
Seit 2002 reden wir von fast um$onst in wechselnden Konstellationen und für verschiedene Gelegenheiten, 2003 hat es endlich geklappt, es gab Projektmittel vom Berliner Senat für ein WorkshopProgramm in der Galerie Stil und Bruch und die Aufnahme ins NGBK-Programm für 2004.

2 Überleben

fast um$onst Leben führte Überlebenstraining im Schilde.
Mittlerweile ist das Wort Überleben im Zusammenhang mit der deutschen Ökonomie verbrannt, es stinkt nach hysterischer Entsolidarisierung, "rette sich wer kann", "das Boot ist voll", oder danach, masochistisch härteres Durchgreifen von wem auch immer zu verlangen. Wir meinten es nie sozialdarwinistisch, "survival of the fittest", wir dachten an ein Überleben o von uns geschätzter Tugenden wie Solidarität, Subsistenz, Resteverwertung.

3 Zwang zur Improvisation, Lust am Selbermachen


"Da preist man uns das Leben großer Geister
das lebt mit einem Buch und nichts im Magen
in einer Hütte,
daran Ratten nagen
mir bleibe man vom Leib
mit solchem Kleister!
Das simple Leben lebe
wer da mag!
Ich habe (unter uns) genug davon.
Kein Vögelchen von hier
bis Babylon
vertrüge dies Kost nur einen Tag. Was hilft da Freiheit,
es ist nicht bequem
Nur wer im Wohlstand lebt,
lebt angenehm!"
Bertolt Brecht,
"Die Ballade vom angenehmen Leben"


Es geht nicht darum, aus Armut reparierte Kleider tragen zu müssen, und aus Not zu improvisieren.
Es geht eher um den Stolz darauf, bestimmte Dinge zu können, ein Handwerk zu beherrschen, auch wenn es moralisch veraltet ist. Natürlich geht es auch um Einfallsreichtum und ums selber denken. Als Gegensatz dazu benenne ich Professionalisierung, der es mehr um die Haltung geht, um sich auf dem Markt zu positionieren. Professionelle Fähigkeiten, die über rhetorische hinausgehen, werden seit einiger Zeit nicht mehr staatlich gefördert.
Die fast um$onst Seminare entdecken einen Rest Autonomie im Selbermachen. Der Kinder Markttag im letzten Sommer versuchte, Kinder anders als als KonsumentInnen in Ökonomie einzubeziehen. Für sie ist es eine große Bestätigung, als ProduzentInnen aufzutreten, dass die selbstgemachten Kühlschrankmagneten in Obst- und Gemüseform, die sie anbieten, gefragt sind, und gegen richtige Lebensmittel getauscht werden.
Der Siebdruckworkshop ist für die an den Computer gezwungenen KünstlerInnen eine Wohltat: Alles, was wir können, aber nicht mehr brauchen, aus dem Keller unseres Daseins zu holen, mit der Schere schneiden, Schriften improvisieren, etc. Wir praktizierten Schnellsiebdruck mit selbst geschnittenen Papierschablonen, für kleine Auflagen. Dass er nicht über fotografische Vorlagen funktioniert, macht ihn so reizvoll für die Computerarbeiterinnen.
Die lateinamerikanischen Freundinnen berichten, dass sie oft Siebdrucke (auf T-Shirts) gemacht haben, um ihr Studium zu finanzieren. Das hier ist unkommerziell, sinnlos bis politisch.
Was unkommerziell ist, ist sinnlos, und aufgrund dieser kommerziellen Unbrauchbarkeit politisch, und deshalb sinnvoll.

4 Frauen ohne Gesicht

Im Sommer 2003 hatte fast um$onst Leben einige mujeres sin rostro (Frauen ohne Gesicht, eine Art Organisation illegal in der Stadt lebender Frauen aus Lateinamerika) als Teilnehmerinnen. Die Plakate der mujeres sin rostro waren besonders farbenfroh, inhaltlich vermittelten sie eine Riesensehnsucht nach Sonne und Konsum. Zusätzlich hatten sie, typisch für ihre Scheißsituation als Illegale, mit Behörden- und Sprachproblemen zu kämpfen, und nicht so richtig Zeit.
Mir trat Schweiß auf die Stirn und ich wurde ganz beflissen, als plötzlich der Kontaktbereichsbeamte in der Galerie auftauchte. ‚Scheiße, wer hat dem gesagt, dass hier Frauen ohne Visum und Aufenthaltsgenehmigung sind?' In Wirklichkeit erkundigte er sich nach dem Laden der SPD-Jugend. Ich bekam eine kleine herzrasende Ahnung vom Leben einer Illegalen, fand das nicht im mindesten abenteuerlich, sondern hatte das schlechte Gefühl, dass ich es bin, die die armen Immigrantinnen ins Verderben reißt.

5 Genervtes Gestammel als Vorstufe der höheren Weihen des
Do it yourself


Mich führen alle Auseinandersetzungen mit Improvisation und Selbermachen dahin zurück, dass ich den Zwang zu Improvisation und das Selbermachenmüssen auf die Dauer schrecklich anstrengend finde. Ich für meinen Teil bin froh, wenn ich im Zug fahren kann, anstatt per Anhalter fahren zu müssen. Es ist nicht lustig, schwarz zu fahren. Es bleibt einem nichts anderes übrig, weil die BVG zu teuer ist, aber es ist stressig!
Auch die mindestens fünf Jahre Renovierung eines selbstverwalteten Hauses waren staubig und die Gruppendiskussionen ermüdend. Zu Kunstausstellungen oder zum Studium kam ich eher nicht, und jetzt ärgert uns der zum Professor gewordene Künstler, der das zweite Hinterhaus kauft, und uns für asoziale Elemente hält, damit, dass wir nicht mehr in seinen blöden Hinterhof dürfen. Leider oder Gott sei Dank werden wir nie das Geld haben, auch unsere Häuser zu kaufen, wer weiß, was dann aus uns würde.
Und mit dieser Scheißdatenverarbeitung am Computer ist man doch sowieso dazu verdammt, alles selber zu machen: das Konto verwalten, die Post verschicken, die Webseite pflegen, die Fotos ausdrucken, den Katalog umbrechen und so weiter.
Es kann manchmal ganz schön sein, selber einen Stift in die Hand zu nehmen, und "Arschloch" auf ein besonders dummes Werbeplakat zu schreiben, am Gaskocher in der Firma einen Espresso zu kochen, weil es sonst nur Mikrowellen und überteuerte Restaurantketten gibt, es ist gut, zu wissen, wie es geht, und als pädagogisches Konzept ist Selbermachen unschlagbar, aber schon bei der Fahrradreparatur hört der Spaß eigentlich auf.

6 Professionell

1. Verkäuferin: Wie mit den Menschen ist es mit der Preisgestaltung

2. Verkäuferin: Mehr als der inn're Wert gilt oft die äuß're Haltung.

1.: Du selbst kriechst schon dabei auf allen Vieren,

1. u. 2.: nur die Haltung, nur die Haltung, nur die Haltung darfst du nicht
verlieren!

Georg Kaiser, Der Silbersee,
Ein Wintermärchen


professionell /Adj./ <lat.> eine Tätigkeit beruflich ausübend: ein p. Sportler (Berufssportler); ein p. Fußballklub; der Safe ist von einem Professionellen (Berufsverbrecher) aufgeschweißt worden
dazu nichtprofessionell …

Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache
Eigentlich nichts besonders Schlimmes, jemand macht etwas beruflich, aber schon in der Definition keimt etwas Kriminelles auf.
Derzeit wird alles Mögliche professionell bzw. kommerziell betrieben. Um eine Icke-Ag gründen zu können, überlegt man, was kann ich eigentlich, und versucht, irgendeine Dienstleistung daraus zu basteln. Bei KünstlerInnen ist es besonders traurig, eben weil sie immer schon irgendwas anderes machen mussten, um zu leben. Das ist eine Art äußere Arbeitszwangsanstalt, (jetzt: Agentur für Arbeit) die einen dazu zwingt, ohne anderes Kapital oder andere Produktionsmittel als den eigenen PC "UnternehmerIn" zu werden.
Gleichzeitig sind die Seminare und Trainings, wo wir lernen, uns besser, zeitgemäßer etc. zu bewerben, dazu da, die Konkurrenz zu steigern. Die Arbeitsplätze werden davon nicht mehr (außer bei den TrainerInnen).
Die eigentlichen professionellen Fähigkeiten bleiben auf der Strecke, es geht nur mehr um das Funktionieren in einer bestimmten Phase, in der es darauf ankommt, eine selbstständige Existenz zu simulieren, die subventioniert wird, wenn die Subjekte im Gegenzug aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden.


 

BIETE


Fachberater/in im Vertrieb mit Berufsausbildung, Erfahrung im Verkauf und Technik-Kenntnissen sowie FSKl. 3 für den Vetrieb von Bürotechnik in in Berlin-Marzahn in Vollzeit unbefristet gesucht. Frau Lehmann


Gr. Vers.-Büro sucht dringend nebenber. Vermittler. Hr. Herrmann


Propagandisten für Autopflegeprodukte gesucht.



Verkaufsrepräsentant/in mit Berufserfahrung sowie FS Kl. 3 für den Verkauf von Kosmetikprodukten für eine Kosmetikfirma, Arb.ort: Bln-Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Vollzeit unbefristet, Herr Schmidt:

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