Was aber geschieht nun in einer Inflation?
Die Geldeinheit verliert ganz plötzlich ihre Persönlichkeit. Sie verwandelt sich in eine wachsende Masse von Einheiten; diese sind immer wertloser, je grösser die Masse wird. Die Millionen, die man immer so gern gehabt hätte, hält man plötzlich in der Hand, aber es sind keine mehr, sie heißen nur so. Es ist, als hätte der Vorgang des Springens dem Springenden jeden Wert genommen. Wenn die Währung einmal in diese Bewegung geraten ist, die den Charakter einer Flucht hat, ist eine obere Grenze nicht abzusehen. So wie man bis zu jeder Höhe hinauf zählen kann, so kann sich das Geld bis zu jeder Tiefe entwerten.

(...) was früher eine Mark war, heißt jetzt 10 000, und 100 000, dann eine Million. Die Gleichsetzung des einzeln Menschen mit seiner Mark ist dadurch unterbunden. Sie hat ihre Festigkeit und Grenze verloren, sie ist jeden Augenblick etwas anderes. Sie ist nicht mehr wie eine Person, und sie hat keinerlei Dauer. Sie hat weniger und weniger Wert. Der Mensch, der ihr früher vertraut hat, kann nicht umhin, ihre Erniedrigung als seine eigene zu empfinden. Zu lange hat er sich mit ihr gleichgesetzt, das Vertrauen in sie war wie das Vertrauen in sich selbst. Nicht nur gerät durch die Inflation alles äußerlich ins Schwanken, nichts ist sicher, nichts bleibt eine Stunde am selben Fleck – durch die Inflation wird er selber, der Mann, geringer. Er selbst oder was er immer war, ist nichts, die Million, die er sich immer gewünscht hat, ist nichts. Jeder hat sie... . Man kann die Inflation als einen Hexensabbat der Entwertung bezeichnen, in dem Menschen und Geldeinheit auf das sonderbarste ineinanderfließen. Eines steht fürs andere, der Mensch fühlt sich so schlecht wie das Geld, das immer schlechter wird; und alle zusammen sind diesem schlechten Gelde ausgeliefert und fühlen sich auch zusammen ebenso wertlos.
Canetti-"Masse und Macht"