Claudia Reiche
Wörtlich nehmen? - Marx'' Kapital bildlich testen
   
  Wie ist folgende Aussage von Alexander Kluge und Oskar Negt zu verstehen?
""Kluge: Es sind also Millionen von Stunden von Arbeitskraft, die aber nur in winzigen Partikeln in diesem Stift stecken.
Negt: ja. […]
Kluge: Marx sagt, hier steckt lebendige Arbeit in dem Endprodukt, die jetzt verstorben ist, aber sie lebte einmal wirklich; wenn ich reinschneide, sagt er, käme da wieder Blut von Menschen heraus, die es produziert haben.
Negt: Er hat das ganz buchstäblich gemeint."
(Negt/Kluge: Der unterschätzte Mensch, Bd. 1, Frankfurt/ a.Main. 2001, S. 47)
Vernünftigerweise wäre zu erwarten, dass Tinte aus dem Tintenstift herauskäme, den Negt und Kluge als Anlassß ihrer Marx-Interpretation nehmen. Negt und Kluge haben wahrscheinlich folgende Stelle aus dem Kapital , Bd. 1 gelesen:
""Das Kapital ist verstorbene Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt." " (S. 247)
Die metaphorische Verwendung des Terminus ‚'Leben'' in den Texten Karl Marx'', hier in Verbindung mit dem Vampir- und Blut-Motiv, wird jedoch anscheinend von ihnen nicht im übertragenen Sinn ‚'verstanden'', sondern innerhalb der literarischen Bildlichkeit weitererzählt.
Wenn dies zunächst als Nonsens erscheinen mag, so wird dieser Kursus doch das Ziel verfolgen, eine kritische Perspektive in diesem gespielt naiven Verfahren zu analysieren, das einen entscheidenden Zug des Marx''schen literarischen Verfahrens wie mit einer Lupe vergrößert und selbst anwendet.
Die Vorteile für die neue Medienkünstlerin liegen auf der Hand:. Gelernt wird so ein taktischer und gekonnter Einsatz von Metaphern, literarischen Zitaten und Vergleichen in Projektanträgen, Fernsehinterviews etc. Womöglich handelt es sich um eine angemessene Möglichkeit Konzepte sprachlich ‚'medial'' zu formulieren und nicht vom verlorenen Posten des ‚'autonomen'' Subjekts her, Aussagen zu treffen?